Die Magie des Übergangs:
Ein Blick auf 'Transitional Phenomena' in der Kindheit
7. Oktober 2023
Es gibt Momente im Leben eines Kindes, die wie Magie erscheinen, besonders im Alter zwischen 6 Monaten und 3 Jahren. Da ist dieses Lieblingsstofftier, das niemals von der Seite weicht, oder die spezielle Decke, ohne die das Einschlafen undenkbar wäre. Was auf den ersten Blick wie eine einfache kindliche Vorliebe erscheint, hat tiefere psychologische Wurzeln und ist ein wichtiger Schritt in der emotionalen und kognitiven Entwicklung des Kindes. Dieser Artikel wird den Begriff „Transitional Phenomena“ erläutern und erklären, warum diese Übergangsobjekte und -phänomene auch für uns Erwachsene von Bedeutung sind.
Was sind „Transitional Phenomena“?
Der Begriff „Transitional Phenomena“ wurde von dem britischen Psychoanalytiker Donald Winnicott geprägt. Er beschreibt damit die ersten „nicht-ich“-Objekte, die ein Kind in seinem Leben annimmt, vor allem im Altersbereich zwischen 6 Monaten und 3 Jahren. Diese Objekte, oft als „Übergangsobjekte“ bezeichnet, dienen als Brücke zwischen der inneren Welt des Kindes und der äußeren Realität. Sie sind weder rein subjektiv noch rein objektiv, sondern bewohnen einen Zwischenbereich, den Winnicott als "Übergangsraum" bezeichnet. Das Konzept wurde erstmals 1951 in einem Artikel im "International Journal of Psycho-Analysis" vorgestellt und hat seitdem weitreichende Bedeutung in der Psychologie, Psychotherapie und Psychoanalyse erlangt.
Warum sind sie wichtig?
Übergangsobjekte nehmen eine Schlüsselrolle in der frühkindlichen Entwicklung ein, besonders im sensiblen Alter von 6 Monaten bis 3 Jahren. In dieser Lebensphase beginnen Kinder, ihre Welt jenseits der primären Bezugspersonen zu erkunden. Übergangsobjekte dienen hier als emotionale Stützen, die Sicherheit und Trost bieten, wenn Mama oder Papa gerade nicht zur Verfügung stehen. Doch die Funktion dieser Objekte geht über das bloße Trösten hinaus. Sie dienen als erste „Werkzeuge“, die dem Kind dabei helfen, sich mit der äußeren Welt auseinanderzusetzen. Im „sicheren Raum“, den Übergangsobjekte schaffen, kann das Kind erste Erfahrungen mit Unabhängigkeit und Selbstständigkeit machen. Es lernt, einfache Emotionen besser zu regulieren und beginnt, ein Gefühl für die eigene Individualität zu entwickeln. Diese ersten Schritte der emotionalen und sozialen Entwicklung legen den Grundstein für komplexere Fähigkeiten, die später im Leben wichtig werden, wie zum Beispiel Empathie und Problemlösung. Zugleich tragen Übergangsobjekte dazu bei, dass das Kind lernt, mit Unsicherheiten und neuen Situationen besser umzugehen, was für die weitere Entwicklung von großer Bedeutung ist.
"Es gibt Momente im Leben eines Kindes, die wie Magie erscheinen."
Der sanfte Übergang: Emotionale Brücken für Ihr Kind bauen
Der tiefe Einfluss von Übergangsphänomenen in Kunst und Musik:
Vielleicht stellen Sie sich die Frage: "Spielen Übergangsphänomene auch im Leben von Erwachsenen eine Rolle?" Die Antwort ist ein klares Ja. Insbesondere in den Bereichen Kunst und Musik können diese Phänomene eine tiefgreifende Rolle spielen. Künstler erschaffen durch ihren Schaffensprozess einen „sicheren Raum“, in dem sie mit einer Vielzahl von Emotionen, Ideen oder Konflikten experimentieren können. Dieser kreative Prozess kann als modernes Übergangsphänomen angesehen werden, das Künstlern ermöglicht, zwischen ihrer inneren emotionalen Welt und der äußeren Realität zu navigieren. Ähnlich schaffen Musiker durch die Komposition oder Darbietung von Musik einen vergleichbaren „sicheren Raum“. Hier können sie ihre Emotionen ausdrücken, Stress abbauen und sich mit anderen Menschen verbinden. Für Kunstbetrachter und Musikliebhaber ist dieser „sichere Raum“ ebenfalls von Bedeutung. Die Betrachtung eines Kunstwerks oder das Hören eines Musikstücks kann tiefgreifende emotionale Reaktionen hervorrufen und als Katalysator für die persönliche innere Auseinandersetzung dienen. In diesem Kontext werden Kunst und Musik zu Übergangsobjekten, die uns helfen, mit unseren Emotionen, Gedanken und der äußeren Welt umzugehen. Diese tiefgreifende Übergangsphänomene finden sich allerdings auch in den alltäglichen Ritualen vieler Erwachsener wieder. Ob es die morgendliche Tasse Kaffee ist, die den Start in den Tag erleichtert, oder ein Abendspaziergang zur Entspannung – diese Routinen können als alltägliche Formen von Übergangsphänomenen betrachtet werden, die uns einen „sicheren Raum“ bieten, in dem wir uns auf den Tag vorbereiten oder von ihm erholen können.
Übergangsphänomene in der psychologischen Beratung
In der therapeutischen sowie psychologische Praxis können Übergangsphänomene ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Der Praxisraum selbst kann als eine Art „sicherer Raum“ oder Übergangsraum fungieren, in dem KlientInnen ihre Gedanken, Gefühle und Sorgen frei ausdrücken können. Dies ermöglicht eine tiefere Selbsterkundung und erleichtert die emotionale und kognitive Verarbeitung. Ein „magischer Ort“, wo der Klient sich sicher und unterstützt fühlt.
Die Essenz der Magie
Übergangsphänomene sind ein faszinierendes und vielschichtiges Konzept, das sowohl in der Kindheit als auch im Erwachsenenalter von Bedeutung ist. Während sie bei Kindern eine entscheidende Rolle in der emotionalen und kognitiven Entwicklung spielen, manifestieren sie sich bei Erwachsenen in Form von Kunst, Musik und alltäglichen Ritualen. Sie bieten uns einen „sicheren Raum“, in dem wir uns selbst und unsere Beziehung zur äußeren Welt erkunden können. Als Eltern haben wir die Möglichkeit, dieses wunderbare Phänomen zu fördern und somit unseren Kindern einen gesunden Übergang in die Unabhängigkeit zu ermöglichen. Zugleich bietet es uns eine Chance, unser eigenes Verständnis von „sicheren Räumen“ zu vertiefen und vielleicht sogar neue zu entdecken.
Vielen Dank für Ihre Zeit und Ihr Interesse an diesem faszinierenden Thema. Ich wünsche Ihnen viele magische Übergangsmomente. Und denken Sie immer daran:
'Those who don't believe in magic will never find it.' - Roald Dahl
Maaike